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Samstag, 3. Oktober 2020

»Hegels Welt« von Jürgen Kaube

Hegels Welt

Jürgen Kaube erzählt Hegels Leben, führt ein in sein Denken und zeigt, wie sich in beidem eine Epoche des gewaltigen Umbruchs spiegelt. Durch keinen anderen Denker lernt man so gut kennen, was auch die «Sattelzeit» genannt wurde: den Übergang des alten Europa in die moderne Gesellschaft. Ob Französische Revolution und napoleonische Ära, ob Technik, Industrie oder die Kolonisierung fremder Kontinente – in diesen Jahrzehnten veränderte sich die Welt grundlegend. Nicht umsonst steht Hegel für den Beginn einer Philosophie, die versucht, ihre Zeit auf den Begriff zu bringen
Kaube schildert die Zeit der Aufklärung, in die Hegel hineingeboren wird, wie einen spannenden Roman, wo sich die Weltgeschichte entscheidet in jene Richtung zu schreiten, in der wir heute dahintrotten, ohne zu wissen warum und wohin wir sollen. Hegel und Kant erfinden den deutschen Idealismus, während die Welt der Könige am Rand des Abgrunds steht, um bald zu Bruch zu gehen. England, Preußen und Frankreich haben sich im Siebenjährigen Krieg bis über alle Ohren verschuldet, Steuererhöhungen lösen den Amerikanischen Bürgerkrieg und die Französische Revolution aus und schon ist nichts mehr wie es war.

Hegel ahnt damals schon, was imperiale Überdehnung bedeutet, er analysiert den Zeitgeist, entdeckt, dass Zeit ein Prozess ist, bewegt durch Thesen und Gegenthesen von Menschen, die zu neuen Synthesen führen, die neue Anti-Synthesen provozieren und somit in einer unverwechselbaren Zeitgestalt fortlaufender Prozesse münden. Seine geniale Dialektik ist immer noch unerreicht und wird von den meisten nicht verstanden, auch von heutigen Politikern nicht, die glauben, das Ende der Geschichte erreichen zu können, indem sie ihre Anti-These militärisch oder ökonomisch plattmachen. So versteht auch niemand, dass Hegel-Schüler Karl Marx seinen Lehrer von idealistischen Kopf auf die materialistischen Füße stellte und den Prozess der bewegten Massen beschrieb, die mehr Gerechtigkeit und ein besseres Leben verlangen, weil sie hungern nach Essen und Freiheit. So verteufeln die Anti-Hegelianer immer noch die marxistische Anti-These, als handle es sich um den Teufel und nicht um einen notwendigen Bestandteil hegelianischer Dialektik.

Kaube geht auch auf andere Größen der damaligen Zeit ein, mit denen Hegel Bekanntschaft machte. Hegel wirkte unter anderem in Jena, dem intellektuellen Zentrum der Klassik mit inspirierender Nähe zu Schiller und Goethe, die erkannte wie die anderen Großen seiner Zeit. Als begnadeter Polemiker stritt er gern, etwa mit den Romantikern; als allseits Interessierter nahm er alles Neue auf. Aber auch dem Persönlichen schenkt Kaube alle Aufmerksamkeit: dem unehelichen Sohn Hegels etwa, der in Indonesien am Tropenfieber starb, oder Hegels Schwester, die an der republikanischen Verschwörung in Württemberg mittat.

Eine faszinierende Biographie – und eine Zeit, in der sich die Welt neu formierte. Vielleicht ist es Letzteres, was dieses Buch auch zu unserer Gegenwart sprechen lässt.

Biografie

Hegels Welt
Hegels Welt von Jürgen Kaube

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