Jürgen Kaube erzählt Hegels Leben, führt ein in sein Denken und zeigt, wie sich in beidem eine Epoche des gewaltigen Umbruchs spiegelt. Durch keinen anderen Denker lernt man so gut kennen, was auch die «Sattelzeit» genannt wurde: den Übergang des alten Europa in die moderne Gesellschaft. Ob Französische Revolution und napoleonische Ära, ob Technik, Industrie oder die Kolonisierung fremder Kontinente – in diesen Jahrzehnten veränderte sich die Welt grundlegend. Nicht umsonst steht Hegel für den Beginn einer Philosophie, die versucht, ihre Zeit auf den Begriff zu bringen
Kaube schildert die Zeit der Aufklärung, in die Hegel hineingeboren
wird, wie einen spannenden Roman, wo sich die Weltgeschichte entscheidet
in jene Richtung zu schreiten, in der wir heute dahintrotten, ohne zu
wissen warum und wohin wir sollen. Hegel und Kant erfinden den deutschen
Idealismus, während die Welt der Könige am Rand des Abgrunds steht, um
bald zu Bruch zu gehen. England, Preußen und Frankreich haben sich im
Siebenjährigen Krieg bis über alle Ohren verschuldet, Steuererhöhungen
lösen den Amerikanischen Bürgerkrieg und die Französische Revolution aus
und schon ist nichts mehr wie es war.
Hegel ahnt damals schon, was imperiale Überdehnung bedeutet, er analysiert den Zeitgeist, entdeckt,
dass Zeit ein Prozess ist, bewegt durch Thesen und Gegenthesen von
Menschen, die zu neuen Synthesen führen, die neue Anti-Synthesen
provozieren und somit in einer unverwechselbaren Zeitgestalt
fortlaufender Prozesse münden. Seine geniale Dialektik ist immer noch
unerreicht und wird von den meisten nicht verstanden, auch von heutigen
Politikern nicht, die glauben, das Ende der Geschichte erreichen zu
können, indem sie ihre Anti-These militärisch oder ökonomisch
plattmachen. So versteht auch niemand, dass Hegel-Schüler Karl Marx
seinen Lehrer von idealistischen Kopf auf die materialistischen Füße
stellte und den Prozess der bewegten Massen beschrieb, die mehr
Gerechtigkeit und ein besseres Leben verlangen, weil sie hungern nach
Essen und Freiheit. So verteufeln die Anti-Hegelianer immer noch die
marxistische Anti-These, als handle es sich um den Teufel und nicht um
einen notwendigen Bestandteil hegelianischer Dialektik.
Kaube geht auch auf andere Größen der damaligen Zeit ein, mit denen Hegel Bekanntschaft machte. Hegel wirkte unter anderem in Jena, dem intellektuellen Zentrum der Klassik mit inspirierender Nähe zu Schiller und Goethe, die erkannte wie die anderen Großen seiner Zeit. Als begnadeter Polemiker stritt er gern, etwa mit den Romantikern; als allseits Interessierter nahm er alles Neue auf. Aber auch dem Persönlichen schenkt Kaube alle Aufmerksamkeit: dem unehelichen Sohn Hegels etwa, der in Indonesien am Tropenfieber starb, oder Hegels Schwester, die an der republikanischen Verschwörung in Württemberg mittat.
Eine faszinierende Biographie – und eine Zeit, in der sich die Welt neu formierte. Vielleicht ist es Letzteres, was dieses Buch auch zu unserer Gegenwart sprechen lässt.
Biografie
Hegels Welt von Jürgen Kaube
Samstag, 3. Oktober 2020
»Hegels Welt« von Jürgen Kaube
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