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Freitag, 23. Oktober 2020

»Hegel im verdrahteten Gehirn« von Slavoj Žižek

Hegel im verdrahteten Gehirn


»Hegel im verdrahteten Gehirn« von Slavoj Žižek ist eine provokante Schrift zur Aktualität Hegels.
Zizek's neues Buch versteht sich als philosophische Untersuchung des Begriffs des verdrahteten Gehirns und seiner als Singularität bezeichneten derzeitigen ideologischen Extrapolation. Singularität steht für die direkte Verbindung zwischen unseren mentalen Prozessen und einer digitalen Maschine, aus der ein globaler gemeinsamer mentaler Erfahrungsbereich entstehen soll. Nicht zu verwechseln mit dem Begriff im Plural, also 'Singularitäten', mit dem Andreas Reckwitz (siehe 'Die Gesellschaft der Singularitäten') einen soziokulturellen und ökonomischen Trend meint, der sich von der Logik des Allgemeinen zu einer Logik des Besonderen entwickelt hat, also zum Beispiel weg von den standarisierten Massengütern, hin zu einer Kulturalisierung der Ökonomie, zur Hervorbringung von Eigenkomplexitäten, wie es bei Reckwitz heißt.

Zizek hält fest, dass er nur Mutmaßungen darüber anbietet, wie sich die mögliche Verdrahtung des Gehirns auf uns als Subjekte und auf unsere Subjektivität auswirken wird. Wir können uns derzeit nur vorstellen, Gedanken durch Worte, Gesten, Argumente auszutauschen und die ebenso entstandenen Gegenargumente wieder in unserem Gehirn zu prüfen. Aber direkt mit jemandem 'verdrahtet' zu denken und identisch zu fühlen, ohne verbalen oder anderen Austausch, ist noch nicht vorstellbar.

Die philosophische Haltung von Zizek wird durch die Trias aus Spinoza, Kant und Hegel bestimmt, wie der Autor im Vorwort feststellt, Der Reiz der Betrachtung besteht unter anderem darin, dass die Singularität und die Künstliche Intelligenz mit dem Wissen von Philosophen überprüft werden, die noch keine Ahnung davon haben konnten, dass Maschinen einmal direkt mit dem neuronalen Fluss unseres Bewusstsein interagieren.

Die Konsequenzen des Interagierens ohne die bisherigen 'Schnittstellen' sind auch heute nicht absehbar.
Versuche dazu gab es im sogenannten Biokosmismus in Zeiten der Sowjetunion, wo darüber nachgedacht wurde, wie die Ausschaltung von Leiden möglich wird, oder der Sieg über die Zeit und den Tod, das Ende der Sexualität oder zumindest der Geschlechterunterschiede.

Heute ist das bekannteste Unternehmen mit vergleichbaren Zielen die Gruppe *Neuralink* die 2016 Elon Musk gegründet wurde. Die Ziele sind, Erkrankungen des Gehirns und des zentralen Nervensystems besser zu behandeln und Fortschritte in der Entwidmung der Künstlichen Intelligenz zu machen.
Musk meinte zynisch, dass wir besser versuchen sollten, die Maschinen einzuholen, sonst würden wir uns zu Affen im Zoo zurückentwickeln.

Im Sinne der Singularität müssten wir unsere getrennten Individualitäten aufgeben und eins werden mit dem Geist, der die Realität selbst durchdringt. Wollte Marx Hegel vom Kopf auf die Füße stellen, so scheint es jetzt darum zu gehen, die körperliche Existenz des Menschen von Hardware auf Software umzustellen.

Würde Hegel mit seinem damaligen Wissen – so spekuliert Zizek – solche Aussagen lesen, würde er sie für die eines Spinozisten halten, der sich nach einer 'immanenten Verbindung', mit der 'physischen Substanz' sehnt.
Kant würde diese Perspektive als albtraumhafte Vision von Subjekten halten, die auf Marionetten reduziert sind.
Heutige Verfechter der Singularität deuten diese Aussichten aber auch in hegelianischer Weise als die Versöhnung von Geist und Realität.

In der Singularität verschwindet das Subjekt, alle Inhalte werden 'kollektiviert', das leere Subjekt ist seines Innenlebens beraubt. Erleben wir nicht auch schon Vorstufen dazu in unserer derzeit noch gemeinsamen Welt der Intersubjektivität? Wie leicht ist es doch, ganze Völker zu 'Schuldnern' zu machen, und den betroffenen Menschen ihren Status als Subjekte zu nehmen. Wie gezielt sind schon die Methoden um die Menschen das denken zu machen was nicht ihnen, sondern den Machern nützt. Und wenn sonst nichts hilft, bleibt noch die Aufforderung 'flood the zone with shit' womit das eigenständige Denken zugeschüttet wird, wie radikale Rechte wie Steve Bannon empfehlen.

»Wenn etwas Neues empirisch entsteht, hat es in seiner essenziellen Dimension, auf der transzendentalen Ebene, schon stattgefunden« sagt Zizek, nicht nur in Bezug auf die Singularität.

»Für die einen mag es ein seliges Schwimmen im transindividuellen Bewusstsein bedeuten, während es für die anderen aus genau demselben Grund dem Ende der Menschheit gleichkommt, weil das Eintauchen in die Singularität uns unseres Status der autonom handelnden Individuen bebraubt.«


Wenn das Subjekt in der Singularität aufgelöst wird, wird das nicht zu einer Harmonie zwischen Individuum und Realität führen, die Widersprüche lösen sich nicht auf, sondern sie tauchen erst recht in reinster und radikalerer Form wieder auf. Denn – und das ist Zizek's hegelianische Interpretation: unser Bedeutungsuniversum wird als symbolische Dimension weiterhin spürbar bleiben, wenn auch als Verlust, als Absenzial der Singularität. Anstelle der Immersion in ein selbstloses, kollektives Denken wäre daher die Erfahrung einer radikalen Kluft zu erwarten. Der herbeigeführte Verlust eines Verlusts könnte ein Neuanfang von etwas sein, das wir uns noch nicht vorstellen können.

Ebenso wenig wie wir uns derzeit vorstellen können, dass wir uns in einem inkonsistenten Zwischenstadium zwischen Tierhaftigkeit und Posthumanität befinden, aus dem uns die Singularität und die Künstliche Intelligenz in ein neues, höheres Reich der Posthumanität führen werden.

Viel Stoff zum Nachdenken, spannend und nicht ohne Humor, und schon gar nicht ohne Wiederholungen, Abschweifungen, und Zitate und Witze aus früheren Büchern. Ein Zizek eben!

Literatur:

Hegel im verdrahteten Gehirn
Hegel im verdrahteten Gehirn von Slavoj Zizek

Samstag, 17. Oktober 2020

»Wissenschaft der Logik« von Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Wissenschaft der Logik
Wissenschaft der Logik

Die »Phänomenologie« ist sein großer Wurf, der Kern seiner großen Theorie von der Selbstentfaltung des Geistes. Sie soll ihm endlich den ersehnten Durchbruch bringen. Und was er in den Oktober-Tagen des Jahres 1806 erlebt, scheint seine Theorie zu bestätigen.

Die »Wissenschaft der Logik« ist ein zweibändiges Werk des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), das zwischen 1812 und 1816 zuerst in Nürnberg erschien. Auf seiner »Phänomenologie des Geistes« aufbauend entwickelt das Werk eine ontologisch-metaphysische Logik, die an die antike Philosophie des »Logos« anknüpft.

Georg W. Hegel wollte in dem Buch die "Gedanken Gottes vor der Schöpfung" entwickeln. Hegels »Wissenschaft der Logik« ist aber eher ein fundamentales Werk über das Sein und das Nichts. Die »Wissenschaft der Logik« gehört zu den schwierigsten Texten der Philosophie überhaupt.

Den Inhalt des "absoluten Wissens" entfaltet sein fundamentales Werk "Die Wissenschaft der Logik". Sie ist eine Metaphysik des absoluten Denkens und seiner grundlegenden Bestimmungen. Hegel nennt das Sichselbst als das die Totalität aller reinen Bestimmungen wissende Denken mit dem Ausdruck Platons die "absolute Idee". Und diese interpretiert er mit Plotin als den göttlichen Geist. Und weil Gott Geist ist, handelt es sich um Theologie. Diese theologische Metaphysik ist die erste Philosophie Hegels.


Kant glaubt in der »Kritik der reinen Vernunft« alles Wesentliche für ein System der Metaphysik - "die Vollendung aller Kultur der menschlichen Vernunft" - versammelt. Hegel will mit der »Wissenschaft der Logik« Kants transzendentale Logik vollenden, und seine politische Philosophie basiert auf ebendem "freien Willen, der den freien Willen will", den Kant als Grundlage herausgearbeitet hatte.

Kant hat den Prinzipien der Synthesis a priori und der Autonomie des Willens, auf denen auch Hegel fußt, nicht ausreichend materiale Geltung verschafft. Deshalb unternimmt Hegel in der "Wissenschaft der Logik" eine kritische Prüfung aller historisch relevanten Grundbegriffe der Philosophie wie der damaligen Fachwissenschaften. Und in der Rechtsphilosophie wie in der Geschichtsphilosophie untersucht er die Institutionen der Freiheit und ihr Werden.

Dieses Werk zählt zu den einflussreichsten philosophischen Schriften der Neuzeit, die unter anderem im Neomarxismus, der Frankfurter Schule, der philosophischen Hermeneutik und dem dialektischen Marxismus eine Rolle spielen.

Viele Philosophen setzten sich bis in die Gegenwart hinein intensiv mit ihren Inhalten auseinander, u.a. Søren Kierkegaard, Martin Heidegger. Bruno Liebrucks oder Dieter Henrich.

Das Werk erfreute sich breiter Resonanz in philosophischen Kreisen, stieß aber entweder auf totale Ablehnung - wie bei Karl Popper - oder es wird als Basis des Denkens zelebriert wie bei Marx und Bloch oder aber wird es sehr neugierig beschnuppert wie von Heidegger und Sartre.

Literatur:

Wissenschaft der Logik
Wissenschaft der Logik
von Georg Wilhelm Friedrich Hegel


Wissenschaft der Logik

Dienstag, 6. Oktober 2020

Geschichte vom Weltgeist umweht


Hegel


Für Hegel, den bedeutendsten Vertreter des deutschen Idealismus, bestand die Welt aus Geist und so ist Geschichte vom Weltgeist umweht. Zu den gedanklichen Figuren, welche Philosophiegeschichte geschrieben haben, gehört zweifelsohne auch Hegels Weltgeist.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel sah die Welt von einem sogenannten Weltgeist beherrscht, der sich großer, tatkräftiger Persönlichkeiten bedient, um die Geschichte in einem dialektischen Prozess voranzutreiben. Der Weltgeist ist bei Hegel eine bestimmende Kraft, die etwas Göttliches hat. Der Weltgeist hat bei Hegel etwas Göttliches. Eine Kraft wirkt, eine andere stellt sich ihr entgegen, und auf einer höheren Ebene strebt der geschichtliche Prozess weiter seinem Ziel, einer Idealwelt, entgegen.


Weht der Weltgeist wie oder wo er will? - "Die List der Vernunft, so Hegel, sorgt auf schönste Weise dafür, dass wir uns alle im großen Ganzen wieder finden. Und da der Weltgeist auf die "List der Vernunft" setzt, indem er eigennützige Individuen für seine übergeordneten Ziele arbeiten lässt, gelangt Hegel zu dem gewagten Schluss: "Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig." Das war eine Rechtfertigung nicht nur des preußischen Staates, sondern auch der Welt insgesamt.

Samstag, 3. Oktober 2020

»Hegels Welt« von Jürgen Kaube

Hegels Welt

Jürgen Kaube erzählt Hegels Leben, führt ein in sein Denken und zeigt, wie sich in beidem eine Epoche des gewaltigen Umbruchs spiegelt. Durch keinen anderen Denker lernt man so gut kennen, was auch die «Sattelzeit» genannt wurde: den Übergang des alten Europa in die moderne Gesellschaft. Ob Französische Revolution und napoleonische Ära, ob Technik, Industrie oder die Kolonisierung fremder Kontinente – in diesen Jahrzehnten veränderte sich die Welt grundlegend. Nicht umsonst steht Hegel für den Beginn einer Philosophie, die versucht, ihre Zeit auf den Begriff zu bringen
Kaube schildert die Zeit der Aufklärung, in die Hegel hineingeboren wird, wie einen spannenden Roman, wo sich die Weltgeschichte entscheidet in jene Richtung zu schreiten, in der wir heute dahintrotten, ohne zu wissen warum und wohin wir sollen. Hegel und Kant erfinden den deutschen Idealismus, während die Welt der Könige am Rand des Abgrunds steht, um bald zu Bruch zu gehen. England, Preußen und Frankreich haben sich im Siebenjährigen Krieg bis über alle Ohren verschuldet, Steuererhöhungen lösen den Amerikanischen Bürgerkrieg und die Französische Revolution aus und schon ist nichts mehr wie es war.

Hegel ahnt damals schon, was imperiale Überdehnung bedeutet, er analysiert den Zeitgeist, entdeckt, dass Zeit ein Prozess ist, bewegt durch Thesen und Gegenthesen von Menschen, die zu neuen Synthesen führen, die neue Anti-Synthesen provozieren und somit in einer unverwechselbaren Zeitgestalt fortlaufender Prozesse münden. Seine geniale Dialektik ist immer noch unerreicht und wird von den meisten nicht verstanden, auch von heutigen Politikern nicht, die glauben, das Ende der Geschichte erreichen zu können, indem sie ihre Anti-These militärisch oder ökonomisch plattmachen. So versteht auch niemand, dass Hegel-Schüler Karl Marx seinen Lehrer von idealistischen Kopf auf die materialistischen Füße stellte und den Prozess der bewegten Massen beschrieb, die mehr Gerechtigkeit und ein besseres Leben verlangen, weil sie hungern nach Essen und Freiheit. So verteufeln die Anti-Hegelianer immer noch die marxistische Anti-These, als handle es sich um den Teufel und nicht um einen notwendigen Bestandteil hegelianischer Dialektik.

Kaube geht auch auf andere Größen der damaligen Zeit ein, mit denen Hegel Bekanntschaft machte. Hegel wirkte unter anderem in Jena, dem intellektuellen Zentrum der Klassik mit inspirierender Nähe zu Schiller und Goethe, die erkannte wie die anderen Großen seiner Zeit. Als begnadeter Polemiker stritt er gern, etwa mit den Romantikern; als allseits Interessierter nahm er alles Neue auf. Aber auch dem Persönlichen schenkt Kaube alle Aufmerksamkeit: dem unehelichen Sohn Hegels etwa, der in Indonesien am Tropenfieber starb, oder Hegels Schwester, die an der republikanischen Verschwörung in Württemberg mittat.

Eine faszinierende Biographie – und eine Zeit, in der sich die Welt neu formierte. Vielleicht ist es Letzteres, was dieses Buch auch zu unserer Gegenwart sprechen lässt.

Biografie

Hegels Welt
Hegels Welt von Jürgen Kaube