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Samstag, 14. Oktober 2006

Hegel im Banne der Weltgeschichte


Hegel

Weltgeschichte kann Georg Wilhelm Friedrich Hegel wirklich nicht gebrauchen in diesen Oktobertagen des Jahres 1806. Als die französischen Truppen vor Jena auftauchen, sitzt er am Schreibtisch und
schreibt wie besessen. Sein großes Buch, die »Phänomenologie des Geistes«, muss endlich fertig werden. Später wird es heißen, der Philosoph habe sein epochales Werk »unter dem Schlachtendonner von Jena« fertiggestellt.

Das gehört wohl ins Reich der Legende, doch die Umstände sind dramatisch genug. Nicht nur Europa steckt in der Krise, auch Hegel selbst. Der 36-jährige Privatdozent kämpft mit finanziellen Problemen, seine Erbschaft ist aufgebraucht, bald kommt ein unehelicher Sohn zur Welt. Und jetzt herrscht auch noch Krieg.

Am 14. Oktober 1806 schlägt Napoleon die preußischen Truppen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt. Wenige Tage später schickt Hegel das fertige Manuskript der »Phänomenologie« zu seinem Verlag. Eine Kopie davon gibt es nicht. Die letzten Seiten trägt er angeblich ständig bei sich, aus Angst, sie könnten in den Kriegswirren verloren gehen.

Die »Phänomenologie« ist sein großer Wurf, der Kern seiner großen Theorie von der Selbstentfaltung des Geistes. Sie soll ihm endlich den ersehnten Durchbruch bringen. Und was er in diesen Tagen erlebt, scheint seine Theorie zu bestätigen.

Vor dem Fenster sieht er Napoleon Bonaparte und sein Gefolge vorbeireiten. Hegels Sympathien gelten nicht seinen besiegten Landsleuten, sondern dem kühnen Eroberer. In einem Brief schwärmt
der Philosoph, es sei »eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht«. Er nennt Napoleon eine »Weltseele«, einen »außergewöhnlichen Mann«.

Hegel hält den französischen Kaiser offenbar für eine Art Vollstrecker der geschichtlichen
Notwendigkeit – für eines jener Individuen, die das große Drama des Weltgeistes
vorantreiben. »Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit – ein
Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben«, schreibt Hegel später
in seinen »Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte«. Aber was heißt hier »Bewusstsein«? Warum »Notwendigkeit«? Und was hat Notwendigkeit mit Freiheit zu tun?


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Rittmeister des Geistes - www.hoheluft-magazin.de