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Samstag, 21. Mai 2022

Hegel-Kritik - Das Konzept der Dialektik (A)

Hegels Geist strebt nach Freiheit und Selbsterkenntnis. Um dieses Ziel zu erreichen, muss er sich notwendiger weise verkörpern. Der Geist braucht die Welt genauso, wie wir als denkende Wesen auf einen Körper angewiesen sind – wir schweben ja auch nicht einfach als Geister durch die Luft.

Das klingt zunächst, als sei der Geist nichts anderes als ein Schöpfergott. Aber Hegels Geist entwirft die Welt nicht einfach von außen, vielmehr schafft er die Bedingungen seiner eigenen
Existenz: Der Geist setzt sich selbst. Aber indem er sich in der Welt verkörpert, setzt er sich auch selbst in einen Widerspruch. Existieren kann er nur, wenn er diesen Widerspruch über windet.
Das ist die Kernidee von Hegels berühmter »Dialektik«.


Die Angriffe der Hegel-Kritiker haben natürlich vor allem das Konzept der Dialektik im Auge. Das ist bei Popper evident, der die Dialektik als logischen Unsinn ansieht und für Beliebigkeit und Willkür im Denken verantwortlich macht. Bei Adorno liegt der Fall anders, denn er will ja die Dialektik nicht verleugnen, sondern ihren negativ-kritischen Charakter hervorheben, weil er der affirmativen Seite des Hegelschen Denkens nicht folgen kann.

Tatsächlich beharrt Hegel ja auch immer wieder darauf, daß die Dialektik nicht nur ein negatives Resultat, eine negative Seite habe. Dies sei eine falsche Ansicht, die von der Antike (auch Platon wird hierfür von Hegel kritisiert) bis hin zu Kant reiche, dessen transzendentale Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft ja zum Resultat habe, dass man das Absolute nicht erkennen könne, sondern die Vernunft wiederum auf die Mittel des Verstandes zurückgeworfen werde. Dies ist für Kant deshalb der Fall, weil die Vernunft, die das Unbedingte oder Absolute zu denken versucht, sich unvermeidlich in dialektische Oppositionen, wie Kant sie nennt – Hegel spricht abkürzend meistens von Antinomien –, verwickelt.

Das Unbedingte – das ist für Kant die Totalität der Bedingungen oder des Bedingten; auch für ihn ist die Dialektik ein totalisierendes Verfahren, das notwendig und unvermeidlich ist, um das Bedingende des Verstandes zu erfassen und ihn dadurch zu begründen und mit sich in Übereinstimmung zu bringen. Hegel übernimmt das von Kant und ebenso die Auffassung, daß die Vernunft sich notwendig in Widersprüche verwickle. Dies gilt für Hegel freilich für alle „Dinge“ und nicht nur in Ansehung der Vernunftgegenstände (Gott, Welt, Seele), wie bei Kant.

Man kann das, was Dialektik im Hegelschen Sinn ist, vielleicht in folgenden Punkten zusammenfassen: (1) Hegels Konzeption verknüpft Totalitäts- und Widerspruchsdenken, indem er – mit Spinoza, genauer: mit Jacobis Spinoza-Deutung – Bestimmtheit als Negation, und zwar als Negation alles Anderen zu dieser Bestimmtheit denkt, das durch eben diese Bestimmtheit ausgeschlossen wird. Um etwas in seiner Bestimmtheit zu denken, muß ich es in seiner negativen Beziehung auf Anderes denken – ein Anderes, das seinerseits die Bestimmtheit negiert, und diese Beziehung und damnit die Negation nicht nur des Anderen sondern auch ihrer selbst durch das Andere ist wesentlicher Bestandteil der Bestimmtheit selbst. Dieses Konzept zwingt dazu, jede vermeintlich mit sich selbst identische Bestimmtheit als daseienden Widerspruch zu deuten und erzwingt zugleich den Übergang zur Totalität der Bestimmtheiten. (2) Indem nicht die Identität, sondern der Widerspruch das Fundament aller Bestimmtheit bildet, ist zugleich der Vorstellung einer mit sich identischen Entität, eines Subjekts als Träger von Bestimmungen, der Boden entzogen. Das, was in Wahrheit ist, sind nicht Dinge, sondern Verhältnisse, Totalität als ein Netz von Relationen. (3) Dieses Netz ist für Hegel begrifflicher Natur, d.h. es geht aus einer Dialektik als Selbstvermittlung der Denkbestimmungen zur Totalität hervor, die zugleich Selbsterfassung des Begriffs ist. Diese kulminiert in dem Selbstbewußtsein des vollendeten Begriffs, der sich schließlich als dialektische Methode bestimmt. (4) Die dialektische Methode vermittelt Voraussetzungen, Momente und Resultate des Werdens zur Totalität. Sie ist daher Logik des Werdens dieser Totalität sowohl im Sinne der (historischen) Genesis als auch ihrer internen Reproduktion.

Damit ist aber die dialektische Methode jedoch noch nicht zureichend bestimmt. Was Hegel unter Methode versteht, ergibt sich aus seinem Systembegriff, der sich wiederum kritisch an Kant orientiert. Kant hatte Systematizität als Leistung der Methode verstanden und zugleich die Auffassung vertreten, daß die Vernunft selbst systematisch sei. Hegel kritisiert, daß Kant gleichwohl die Methode als ein (äußerliches) Instrument des Erkennens verstehe. Ihm zufolge müssen Methode und Inhalt identisch sein, weil die Struktur der Vernunft – letztlich der Begriff – zugleich die Struktur der Realität sei. Die Wissenschaft der Logik ist die Selbstentfaltung der inneren Systematik der Vernunft; sie kulminiert in der absoluten Idee als absolute Methode, wobei unter Methode „das Bewußtsein über die Form der inneren Selbstbewegung ihres Inhalts“ verstanden wird. Die Methode ist, Hegel zufolge, nichts anderes als die Sache selbst, um die es zu tun ist, und nicht ein Instrument, um die Sache überhaupt erst erfassen zu können. In den Ausführungen zur absoluten Idee als absoluter Methode möchte er zeigen, dass und wie „der Inhalt des Erkennens als solcher“ in die methodische Betrachtung eintritt, wodurch sich die Methode zum System erweitert.

Die dialektische Methode ist für Hegel zwar auch ein Instrument des Erkennens: die Wissenschaft der Logik insgesamt muss sich in den Realwissenschaften – der Natur- und Geistesphilosophie – „bewähren“, aber die dialektische Methode ist kein ihrem Gegenstand äußerlich bleibendes Instrument. Hegel unterscheidet sie dadurch vom instrumentellen oder, wie er auch sagt, „suchenden Erkennen“. Hier liegt, so meine ich, die eigentliche Schwierigkeit. Was heißt es, daß die Methode sich „bewährt“? Bleiben damit die Bestimmungen der Methode (und letztlich der Wissenschaft der Logik insgesamt) unverändert? Oder ist die „Bewährung“ der Methode in den Realwissenschaften doch die Beziehung auf ein zunächst äußerliches Material? Wir wissen, wie problematisch das Verhältnis von Logik und Realphilosophie bei Hegel ist. Dies betrifft nicht nur den Schluß der Logik, wo sich die Idee „entschließt“, sich in die Äußerlichkeit der Natur zu entlassen. Es betrifft auch die Realphilosophie selbst, wie Hegels ständige Umarbeitungen in seinen Vorlesungen zeigen. Anders gesagt: das vollständig durchgeführte Hegelsche System, das überhaupt erst die Einheit von Methode und Inhalt rechtfertigen könnte, die Hegels Kritik des „suchendenb Erkennens“ zugrundeliegt, gibt es bei Hegel gar nicht. Und darum bleibt Hegels Methodenverständnis problematisch. Ganz abgesehen davon, ob Hegels Darlegungen zur Methode überhaupt auch nur die Komplexität der Wissenschaft der Logik selbst einholen können; ich denke vielmehr, die ausdrückliche Reflexion der Methode im Schlussteil der Logik bleibt gegenüber dem Gang der Logik selbst unterbestimmt.

Friedrich Engels hat, anderen geläufigen Hegel-Kritiken seiner Zeit folgend, zwischen Methode und System bei Hegel unterschieden und die dialektische Methode dem angeblich starren System entgegengesetzt. Ich glaube, daß dies zu weit geht. Marx etwa hat ja durchaus an dem Systemgedanken festgehalten und die kapitalistische Produktionsweise als System rekonstruiert. Er hat dabei allerdings ein anderes Verständnis von System zugrundegelegt, indem er (was Engels übrigens anders sieht) Logisches und Historisches nicht identifiziert. Das System beruht immer auf äußerlichen Voraussetzungen, die es vorfindet und mit sich fortschleppt; es behält somit eine konstitutive Äußerlichkeit. Damit ändert sich auch der Begriff der Totalität: Totalität ist dann immer historisch bestimmt und endlich.

Und hiervon bleibt selbstverständlich das Methodenverständnis nicht unberührt: die Methode hat dann einen Inhalt, für den die Äußerlichkeit konstitutiv ist, sie muß also diese Äußerlichkeit in ihren eigenen Begriff aufnehmen, d. h.: sich als „suchendes Erkennen“ neu bestimmen, ohne sich nur äußerlich zu ihrem Inhalt zu verhalten, denn diese Äußerlichkeit ist ja zugleich Form ihres Inhalts. Die Methode wird darin zu einem Mittel, welches das Allgemeine unserer Erkenntnisarbeit repräsentiert, nämlich das kategoriale Netz, in dem die „Welt“ unserem Begreifen zugänglich wird. Der Begriff des Systems selbst wäre dabei Moment eines suchenden Erkennens, das in theoretischer und praktischer Hinsicht nach seinem Realitätsgehalt fragt.

Was bereits Heine dem grauen Spinnweb der Hegelschen Dialektik vorwarf, war ihre Lebensferne - die Entfremdung der Theorie. Dahinter verbirrgt sich das Problem der Theorievermittlung an das Volk, das Problem der Popularisierung.

Weblink:

Warum heute noch Hegel-Blog - http://warumheutenochhegel.blogspot.de

Dialektik-Konzepte Teil 1 (Hegel - Marx) - philosophenstuebchen.wordpress.com

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