Menue

Samstag, 13. September 2025

Die Soziologische Systemtheorie von Niklas Luhmann

Niklas Luhmann

Mit seiner Systemtheorie wollte Niklas Luhmann ein Theoriegebilde erschaffen, das es ermöglicht, sämtliche Bereiche der modernen Gesellschaft zu beschreiben und in ihrer Struktur zu verstehen. Der allgemeingültige Anspruch, den er dabei erhoben hat, ist weniger ein Wahrheitsanspruch, die einzig richtige Theorie zu liefern. Vielmehr bezog sich dieser Anspruch auf die Möglichkeit, die Welt in ihrer Gänze zu erfassen, ohne dabei eine normative Wertung vorzunehmen.

Bei der Entwicklung seiner Theorie ist Luhmann von der Frage motiviert, wie sich innerhalb der komplexen und unüberschaubaren Gesellschaft der Moderne Ordnung erklären lässt - eine Fragestellung, die auch schon bei Talcott Parsons impulsgebend ist. Luhmanns Ziel ist die Beschreibung der einzelnen gesellschaftlichen Systeme. Er geht davon aus, dass jedem gesellschaftlichen System eine Struktur zugrunde liegt, die sich auch in allen anderen Systemen oder Lebensbereichen wiederfinden lässt, seien es Wirtschaft, Bildung, Familie, Religion, Liebe, Recht, Politik oder Massenmedien.

Systemtheorie: Urteilsfrei, aber von sozialem Nutzen

Zwar liefert die Systemtheorie keine Kritik an der Gesellschaft und enthält sich moralischer Urteile und zukunftsweisender Vorschläge. Dennoch lassen sich laut Luhmann auch aktuelle gesellschaftliche Probleme mit dem systemtheoretischen Ansatz betrachten. Steigende Arbeitslosenzahlen zum Beispiel ließen sich daraufhin überprüfen, ob sie die Folge eines Konjunktureinbruchs und damit eine Frage der Zeit sind, oder ob ihr strukturelle, systemimmanente, und damit dauerhafte Ursachen zugrunde liegen.
System und Umwelt

Ein wesentlicher Teil von Luhmanns Arbeit besteht in der Definition von Begriffen, die als eindeutige Kategorien die Grundlage für die Systemtheorie bilden sollen. So führt er für seine Theorie das operative Begriffspaar System/Umwelt ein und ersetzt damit die hergebrachten Kategorien Subjekt/Objekt. Auch Parsons hatte bereits mit dem Begriff System gearbeitet, jedoch lediglich als Konstruktion. Luhmann variiert die Theorie und geht davon aus, dass es tatsächlich Systeme gibt, die sich in einer "verändernden, im Ganzen nicht beherrschbaren Umwelt identisch halten". Umwelt ist alles, was das untersuchte System nicht ist. Auch die anderen Systeme sind Umwelt. Die Reduktion der Komplexität ist für Luhmann eine elementare Voraussetzung für soziologische Forschung, denn die Welt sei äußerst komplex, doch die menschliche Aufmerksamkeitsspanne nur sehr gering. Während ein System untersucht wird, werden die anderen "abgeschattet", nicht betrachtet.

Niklas Luhmann wächst in den 30er-Jahren in Lüneburg auf. Nach seinem Jura-Studium wendet er sich der Soziologie zu und entwickelt seine umfangreiche Systemtheorie.

Systeme sind selbstreferentiell

Luhmanns Systeme kennzeichnen sich unter anderem durch verschiedene Merkmale: Sie beziehen sich auf sich selbst, das heißt sie sind selbstreferentiell, und sie stellen sich selbst her. Hierfür benutzt Luhmann den Kunstbegriff der Autopoiesis. Die Systeme grenzen sich von ihrer Umwelt ab und haben alle einen spezifischen binären Code, im Rechtssystem zum Beispiel Recht-Unrecht. Dazwischen gibt es nichts, "Tertium non datur", sagt Luhmann. Jedes System hat seine ihm eigene Struktur. Als Struktur bezeichnet Luhmann die Erwartungen und Erwartungserwartungen. Systeme werden nicht nach ihrem Wesen bestimmt, sondern nach ihrer Funktion.

Beobachten und die Beobachtung beobachten

Die Kategorien System und Umwelt basieren darauf, dass jedes System von innen heraus eine Grenze zieht. Luhmann spricht dabei von der binären Codierung im Sinne von wahrnehmen und nicht wahrnehmen: Ein Beobachter, der ein Auto sieht, lenkt seinen Fokus in diesem Moment von all dem ab, was nicht Auto ist - auch dies ein Vorgang zur Reduktion von Komplexität. Der Beobachter selbst sieht in diesem Moment jedoch nicht, dass er unterscheidet. Somit entstehe ein blinder Fleck in der Beobachtung und es gebe keine vom Beobachter unabhängige Realität. Diese Erkenntnis ist nicht neu und taucht in Soziologie und Philosophie spätestens seit Immanuel Kant immer wieder auf. Luhmann jedoch radikalisiert sie für seine Theorie. Er benennt den "Beobachter zweiter Ordnung", der das Unterscheiden eines anderen Beobachters sehen könne, selbst aber wiederum in seinem eigenen System, in seiner eigenen Realität, wahrnehme und daher nicht den Blick auf das Ganze haben könne.

Kontingenz und doppelte Kontingenz

Kontingenz heißt, dass es immer viele verschiedene Handlungsoptionen gibt, von der eine ausgewählt wird. In der Interaktion wird die Kontingenz verdoppelt, da beide Interaktionspartner aus ihren vielfältigen Handlungsmöglichkeiten auswählen können. Für Luhmann ist die doppelte Kontingenz eine Voraussetzung für die Entwicklung sozialer Systeme. Um die Beliebigkeit und Vielzahl der Möglichkeiten einzuschränken, operieren die Systeme in den ihnen eigenen Strukturen.
Luhmann Systemtheorie: Deskriptiv und konstruktivistisch

Hauptkritikpunkt an Luhmanns Systemtheorie ist ihr deskriptiver Ansatz. Da sie lediglich Methoden zur Beschreibung der Welt liefere, sage sie nichts über die Welt aus, was wir nicht schon wüssten. Es fehle das primär normative Element. Diese Kritik trifft die Theorie tatsächlich in ihrem Kern, in ihrem konstruktivistischen Ansatz. Luhmann war sich dessen bewusst, denn letztendlich sagt auch diese Kritik das aus, worauf er hinaus wollte: Dass wir nur das wahrnehmen, sprich beobachten können, was wir beobachten, und nichts, was darüber hinausgehe.

Weblink:

Die Soziologische Systemtheorie von Niklas Luhmann

Samstag, 23. August 2025

Hegel Freiheit des Einzelnen

 Hegel war als Apologet der Freiheit überzeugt, dass die Freiheit des Einzelnen sich niemals losgelöst oder gar in Konkurrenz zur Gesellschaft verstehen lässt. Wirklich frei, so versuchte er zu zeigen, werden wir erst mit und durch die anderen. „Bei-sich-selbst-Sein im Anderen“ lautete in seinen Worten das ambitionierte Ansinnen seiner Philosophie.

Folgt man dem Philosophen in diesem Gedanken, dann eröffnen sich neue Perspektiven auf heutige Probleme, für die eine Politik, die vom Einzelnen ausgeht, keine Antwort zu bieten scheint. Anstatt eine starke Klimapolitik, Umverteilung oder Coronamaßnahmen primär als Bedrohung der individuellen Freiheit zu sehen, könnte man – ausgehend von der Annahme, dass Freiheit unweigerlich sozial ist – fragen: Welche Institutionen bräuchte es, um Selbstbestimmung und Entfaltung auch in Zukunft zu garantieren? Welche sozialen Beziehungen würden es uns ermöglichen, bei uns selbst zu sein?

Ebenso wie wir lebte Hegel in Zeiten großer Umbrüche. Als Jugendlicher verfolgte er begeistert die Französische Revolution. Die Philosophie seiner Tage war ebenfalls im Wandel begriffen, die Religion hatte ihre unhinterfragte Vormachtstellung verloren, das Verhältnis von Ich und Welt, Individuum und Gesellschaft wollte neu gedacht werden. Kein Wunder also, dass sein Anspruch an die Philosophie war, „ihre Zeit in Gedanken“ zu fassen. Anders als oft angenommen, liefert Hegel dabei keine Prognosen, die uns erlauben zu sagen, wie wir von der Gegenwart in die Zukunft schreiten. Aber seine Hinwendung zu Momenten der Krise als Chance – um Neues zu schaffen und Ideale voranzutreiben – könnte heute, da die Zukunft zunehmend düster erscheint, als Inspiration dienen.

Hegel lieferte keine leichten Antworten. Anstatt eines Entweder-oder ging es dem Philosophen der Dialektik darum, Widersprüche zusammenzudenken und aufzuheben – freilich ohne jemals alle Spannung einzuebnen. Das Denken bleibt also immer in Bewegung. Gerade in dieser Komplexität und Dynamik liegt der Reiz seiner Philosophie.


Samstag, 14. Juni 2025

Hegel und der Geist in der Freiheit

Hegel

Freiheit erscheint als die Losung des Zeitalters, in dem Hegel groß geworden ist. John Locke hatte sie der Politik zugrunde gelegt, mit Rousseau war sie zu einer menschheitlichen Forderung geworden und Kant konnte zeigen, dass sie der Ursprung aller humanen Leistungen ist, ohne im Widerspruch zur strengen Naturgesetzlichkeit zu stehen.

Für Hegel, den bedeutendsten Vertreter des deutschen Idealismus, bestand die Welt aus Geist. Für Hegel ist die Geschichte ein Prozeß, der das Kommen der Wahrheit - des Geistes vollbringt. Nach Hegel zeigt sich dieser Geist in der Freiheit, genauer: den Freiheitskämpfen der Menschen. Nur wenn Unterdrückte um ihre Freiheit ringen, unter Umständen sogar ihr Leben dafür geben, kann Geschichte sich vollziehen und Fortschritt sich ereignen.

Geschichte bestätigt also den allmählichen, aber unvermeindlichen Siegeszug der Freiheit. In den ersten Reichen des Orients war ein einziger Mensch frei: der Tyrann. Später, mit den ersten Demokratien in Griechenland oder Rom werden . mehrere Menschen frei sein: die Bürger. Schließlich am Ende der Geschichte, sobald das Christentum die Idee der individuellen Freiheit einen entscheidenen Sprung vollziehen lässt und die Französische Revolution sie in das Recht aufgenommen hat, werden alle Menschen frei sein.

Die ganze Geschichte wird nur dann einen Sinn gehabt haben, wenn man sie mit dem verbindet, was sie abschließt und vollendet: den Staat, in dem die Menschen endlich wie Menschen leben können.

Weblinks:

Hegel-Biografie - Biografie-Portal

Hegel, der Weltgeist und die Freiheit - www.zdf.de

Samstag, 19. Oktober 2024

»Wissenschaft der Logik« von Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Wissenschaft der Logik
Wissenschaft der Logik

Die »Phänomenologie« ist sein großer Wurf, der Kern seiner großen Theorie von der Selbstentfaltung des Geistes. Sie soll ihm endlich den ersehnten Durchbruch bringen. Und was er in den Oktober-Tagen des Jahres 1806 erlebt, scheint seine Theorie zu bestätigen.

Platon hat seine Bücher über den Staat siebenmal umgearbeitet. Hegel erinnerte daran im Vorwort der zweiten Auflage seiner »Wissenschaft der Logik« und fügte hinzu, daß ein moderner Autor mit tieferem Prinzip, schwererem Gegenstand und umfangreichen Material das Geschriebene 27 Mal umarbeiten müsse. Dazu fehle ihm allerdings die Zeit.

Die »Wissenschaft der Logik« ist ein zweibändiges Werk des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), das zwischen 1812 und 1816 zuerst in Nürnberg erschien. Auf seiner »Phänomenologie des Geistes« aufbauend entwickelt das Werk eine ontologisch-metaphysische Logik, die an die antike Philosophie des »Logos« anknüpft.

Georg W. Hegel wollte in dem Buch die "Gedanken Gottes vor der Schöpfung" entwickeln. Hegels »Wissenschaft der Logik« ist aber eher ein fundamentales Werk über das Sein und das Nichts. Die »Wissenschaft der Logik« gehört zu den schwierigsten Texten der Philosophie überhaupt.

Kant glaubt in der »Kritik der reinen Vernunft« alles Wesentliche für ein System der Metaphysik - "die Vollendung aller Kultur der menschlichen Vernunft" - versammelt. Hegel will mit der »Wissenschaft der Logik« Kants transzendentale Logik vollenden, und seine politische Philosophie basiert auf ebendem "freien Willen, der den freien Willen will", den Kant als Grundlage herausgearbeitet hatte.

Kant hat den Prinzipien der Synthesis a priori und der Autonomie des Willens, auf denen auch Hegel fußt, nicht ausreichend materiale Geltung verschafft. Deshalb unternimmt Hegel in der "Wissenschaft der Logik" eine kritische Prüfung aller historisch relevanten Grundbegriffe der Philosophie wie der damaligen Fachwissenschaften. Und in der Rechtsphilosophie wie in der Geschichtsphilosophie untersucht er die Institutionen der Freiheit und ihr Werden.

Dieses Werk zählt zu den einflussreichsten philosophischen Schriften der Neuzeit, die unter anderem im Neomarxismus, der Frankfurter Schule, der philosophischen Hermeneutik und dem dialektischen Marxismus eine Rolle spielen.

Viele Philosophen setzten sich bis in die Gegenwart hinein intensiv mit ihren Inhalten auseinander, u.a. Søren Kierkegaard, Martin Heidegger. Bruno Liebrucks oder Dieter Henrich.

Das Werk erfreute sich breiter Resonanz in philosophischen Kreisen,stieß aber entweder auf totale Ablehnung wie bei Karl Popper oder es wird als Basis des Denkens zelebriert wie bei Marx und Bloch oder aber wird es sehr neugierig beschnuppert wie von Heidegger und Sartre.

Literatur:

Wissenschaft der Logik
Wissenschaft der Logik
von Georg Wilhelm Friedrich Hegel


Wissenschaft der Logik

Samstag, 14. September 2024

Hegel - Preußens Staatsphilosoph



Der preußische Staats- und Hofdenker stellte seine Philosophie in den Dienst des Staates. Die Philosophie Hegels wurde durch seine Geschichts- und Staatsehre zur Staatsraison erhoben. Glücklich das Land, dessen Begründung ausgerechnet ein Philosoph vornehmen kann.

Zu den erstaunlichen Leistungen Hegels gehört, daß aus seiner Lehre eine Philosophie erwuchs, die das absolutistische Preußen als theoretisches Fundament seines Staatswesens anerkannte. Und nicht nur Preußen ehrte Hegel als seinen Staatsphilosophen, auch aus anderen deutschsprachigen Ländern blickte man respektvoll nach Berlin, wo Hegel inzwischen lehrte und nicht nur Studenten, sondern auch die führenden Männer jener Zeit seine Vorlesungen hörten.

Zuvor hatte sich auch Kant schon einmal auf dem Wege zum Staatsphilosophen befunden, als theoretischer Begleiter der Ära Friedrichs des Großen. Doch dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm II. sah durch Kants kritische Philosophie die Grundlagen des Christentums gefährdet und erwirkte, dass Kant zum heiklen Thema Religion fortan schwieg.

Gegenüber Kants Denkgebäude hatte Hegels Philosophie aus staatlicher Sicht den Vorzug, dass sie dem Christentum nicht im Wege stand, genauer: dem Protestantismus, auf den Preußen sich gründete und von dem es seine Moral herleitete. "Der Geist", so schrieb Hegel, "hat aber in der Religion vielmehr seine Befreiung und das Gefühl seiner göttlichen Freiheit; nur der freie Geist hat Religion, und kann Religion haben."


Der Weltgeist hat bei Hegel in der Tat etwas Göttliches. Und da der Weltgeist auf die "List der Vernunft" setzt, indem er eigennützige Individuen für seine übergeordneten Ziele arbeiten lässt, gelangt Hegel zu dem gewagten Schluss: "Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig." Das war eine Rechtfertigung nicht nur des preußischen Staates, sondern auch der Welt insgesamt.

Und jeder sah, dass diese Feststellung angesichts des Leids auf Erden nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Allerdings wusste auch Hegel: "Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr." Wieder so ein Satz, dem eher die Mächtigen zustimmen werden als diejenigen, die unter Krieg, Unterdrückung und anderen Zwängen unmittelbar zu leiden haben.

Deutschland hat in Kant, Fichte und Hegel beeindruckende, aber unpraktische liberale Denker hervorgebracht. Von ihnen führt kaum ein Weg ins alltägliche Handeln.
Weblink:

Hegel – Preußens Staatsphilosoph - www.rp-online.de


Samstag, 24. August 2024

Hegel und Schelling


Auch dem Genie Schelling blieb der „Spätzünder“ Hegel zugetan, bei allen philosophischen Differenzen, die sich ausgerechnet an Schellings Verständnis der Indifferenz entzündeten. Denn darum ging es, um nichts weniger als die Frage nach dem Absoluten in der Natur und in der Gestalt des Ich.

Während Schelling das Absolute als „ruhende Einheit der Gegensätze“ dachte, widersprach Hegel, nicht von Anfang an, aber doch schließlich heftig. Denn als der Denker der Dialektik, also der nicht aussetzenden Denkbewegungen, könne das Absolute nicht als toter Punkt begriffen werden. Was das Verhältnis von Natur und Ich umtreibe, sei die Ruhelosigkeit – und dieses Verhältnis lasse sich auch im Absoluten nicht stillstellen, absolut nicht.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel gehörte mit Kant und Schelling zu den wichtigsten Vertretern des deutschen Idealismus. Seine Werke zur Logik, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes beeinflussten die Wissenschaften über die Grenzen der Philosophie hinaus und prägten über lange Zeit das Denken großer Philosophen wie Adorno und Feuerbach.

Drei junge Studenten der Philosophie und Theologie auf der Suche nach sich und nichts weniger als hehrer Wahrheit und absoluter Weisheit: Hegel, Hölderlin und Schelling 1790 im Tübinger Stift. Damenbesuch droht, die Jungmänner-Bude nach Kartenspielgelagen vollkommen desolat und die Speisekammer leer bis auf ein paar Krüge Gerstensaft.

Euphorisch, verliebt, enttäuscht, philosophierend, streitend, hoffend, verzweifelnd erleben wir das Trio bei seinem Sturz durch die Zeiten. Denn das Stück katapultiert die wohl berühmteste Philosophen-WG der Geschichte mit einer von Schelling gesteuerten phantastischen »machina tempora« in großen Sprüngen aus ihrem Zeitalter durch die Historie in unsere Gegenwart und sogar bis in die Zukunft.


Die Zeit in Gedanken fassen

„Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jeder ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die
Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfaßt.“


Was heute unwidersprochen vernünftig und fast ein bisschen banal klingt, bedeutete im ausgehenden 18. Jahrhundert eine revolutionäre Wende. Philosophie stand bis dahin für die Vita Contemplativa, für das Streben nach dem Ewigen und Wahren, das eine Abkehr von allem Weltlichen voraussetzte, von allem, was bloß Geschichte war.

Die Zeit als Reich kontingenter, unzulänglich menschlicher Begebenheiten war lange überhaupt nicht philosophiewürdig. Wenn es laut Hegel nun Aufgabe der Philosophie sein sollte, ihre Zeit in Gedanken zu erfassen, musste der Geist neuerdings selber in der Zeit und der Geschichte anwesend sein. Bei Hegel war der Geist in Bewegung geraten. Er war nicht mehr Aristoteles ́unbewegter Beweger als in sich ruhender Pol im Zentrum seiner Schöpfung.

Hegel denkt Geist als tätige Unruhe. Der Geist entäußert sich in die Epochen der Geschichte in fortschreitender Entwicklung. Er wandert durch alle Gestalten der Zeit und trifft dabei in immer höherer Bewusstseinsstufe überall zugleich auf sich selbst. Der Geist an sich ist zugleich der Geist der Zeit. Hegel schreibt in seinen »Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie«:

„Die politische Geschichte, Staatsverfassungen, Kunst und Religion haben alle zusammen eine und dieselbe gemeinschaftliche Wurzel – den Geist der Zeit. Es aber aufzuzeigen, wie der Geist einer Zeit seine ganze Wirklichkeit und ihr Schicksal nach seinem Prinzipe ausprägt, wäre der Gegenstand der philosophischen Weltgeschichte überhaupt.“

Zeitgeist SWR2 Essay